Die Schmerzen fingen am ersten Weihnachtsfeiertag an. Von der linken Brust strahlten sie in den Arm. "Ich dachte zuerst, ich hätte etwas am Herzen", sagt Claudia Müller (Name von der Redaktion geändert). Die zweifache Mutter, die nicht namentlich genannt werden will, suchte daher ihren Hausarzt auf, ließ ein EKG machen und das Blut untersuchen. Alles ohne Befund.
"Mein Mann hat dann
in der Zeitung gelesen, dass es Probleme mit Implantaten einer
bestimmten Marke gibt", erinnert sich die Baden-Württembergerin. Eilig
suchte sie nach ihrem Implantate-Pass und fand die drei Buchstaben, die seit kurz vor Weihnachten viele Frauen in Angst versetzen: PIP.
"Mein erster Gedanke war: Es hat mich auch erwischt", sagt Müller zu stern.de.
Doch die junge Frau blieb noch relativ ruhig. Sie suchte ihren
Frauenarzt auf. Er verwies sie an den Arzt, der ihr 2008 die Implantate
eingesetzt hatte. Dort bekam sie Klarheit: Das Implantat in der linken
Brust war gerissen - und verursachte höllische Schmerzen. Der Facharzt
informierte sie über die Krebsfälle in Frankreich, betonte, dass der
Zusammenhang zu den Implantaten noch nicht bewiesen sei, riet ihr aber
dennoch, die Kissen entfernen zu lassen.
Opfer einer verbrecherischen Firma
"Mir
war sofort klar, dass die Dinger raus müssen", sagt Müller. "Ich hatte
Angst, dass das Silikon ausläuft, in den Körper gelangt und sich zum
Beispiel in den Lymphknoten sammelt." Geschockt habe sie bei ihrem
Schönheitschirurgen in der Sprechstunde gesessen und kaum wahrgenommen,
was dieser ihr erzählte.
Wie Claudia Müller geht es zurzeit wohl Hunderttausenden Frauen weltweit. Sie alle sind Opfer einer Firma, die aus Profitgier die Gesundheit von Menschen aufs Spiel setzte.
Statt des zugelassenen medizinischen Gels
befüllte das französische Unternehmen Poly Implant Prothèse, kurz PIP,
Brustimplantate mit gesundheitsschädlichem Industriesilikon. Alleine in
Frankreich sind 30.000 Frauen betroffen - ihnen hat das
Gesundheitsministerium einen Austausch der Implantate empfohlen. Auch
nach Großbritannien, Spanien und vor allem Lateinamerika liefert das
2010 Konkurs gegangene Unternehmen die gefährlichen Gelkissen. Wie viele
Frauen in Deutschland diese Implantate tragen, ist nicht bekannt.
Claudia
Müller hatte sich im Jahr 2008 für eine Operation entschieden - nach
reiflicher Überlegung. "Nach dem ersten Kind hatte ich einen Hängebusen,
im Prinzip war kaum mehr etwas da, was an eine Brust erinnerte." Das
habe sie psychisch so belastet, erinnert sich die junge Frau, dass sie
sich für den Eingriff entschied. Keinen Superbusen habe sie sich dabei
gewünscht, sondern eine Größe, die zu ihr passe und natürlich wirke.
"Eine Sauerei"
"Ich
habe mich gut informiert und dabei nicht auf den Preis geschaut", sagt
Müller. Tatsächlich spielten die nun häufig als Billigimplantate
bezeichneten PIP-Silikonkissen in der mittleren Liga. "Sie waren zwar
nicht so teuer wie die Marktführer", sagt der Karlsruher
Schönheitschirurg Bernd Loos, der Claudia Müller operierte. "Aber sie
waren auch nicht die billigsten am Markt." 6800 Euro zahlte seine
Patientin insgesamt für die Operation. "Ich dachte, ich hätte eine gute
Entscheidung getroffen. Tatsächlich war ich bis Weihnachten ja auch mit
dem Ergebnis zufrieden", sagt die 29-Jährige.
Doch nun steht ihr in der kommenden Woche eine erneute Operation ins Haus - und damit wieder Schmerzen und Kosten. Loos, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, kommt seinen Patientinnen zwar entgegen
und bietet ihnen an, sie zum Selbstkostenpreis zu operieren. "Das ist
immerhin etwas", sagt Müller. Doch trotzdem wird sie noch einmal um die
4000 Euro auf den Tisch blättern müssen.
Denn anders
als in Frankreich, wo das Gesundheitsministerium die Entfernung der
Implantate empfiehlt und die Kosten daher übernommen werden, müssen
Patientinnen in Deutschland selbst zahlen. "Das kann ich nicht
nachvollziehen", ärgert sich Müller. Sicher hätten sich viele ohne
medizinischen Anlass für die Operation entschieden. "Doch ein wenig
Unterstützung wäre schön. Immerhin sind weder die Ärzte noch die
Patientinnen schuld an dem Skandal."
Dass der Gründer der französischen Firma PIP, Jean-Claude Mas,
aus der Verwendung des billigen Silikongels ebenso wenig einen Hehl
macht wie aus dem dahinterstehenden Gewinnstreben, regt die 29-Jährige
auf. "Es ist doch etwas anderes, ob man bei einem Gegenstand wie einem
Möbelstück günstigeres Holz einsetzt, um mehr Profit zu machen oder bei
Produkten, die Menschen in den Körper operiert werden", sagt sie. "Auf
Kosten der Gesundheit anderer Geld zu machen, ist eine Sauerei."
Quelle: http://www.stern.de/gesundheit/skandal-um-gefaehrliche-brustimplantate-die-dinger-muessen-raus-1769945.html